Kirchentonarten & Psalmtöne

Die Gesänge der Gregorianik sind melodisch in einer der acht traditionellen Kirchentonarten (auch als Modi bezeichnet) verfasst.

Klassische Kirchentonarten mit verschiedenen Stimmungen

Der Gregorianische Choral kennt acht Tonarten (mittlerweile sind vier neue Kirchentonarten hinzugekommen), die aufgrund ihrer Grundtöne unterschieden werden und jeweils eine eigene Stimmung vermitteln. Sie sind passend dem entsprechenden Anlass bzw. der geprägten Zeit im Kirchenjahr zugeordnet, dessen Inhalt sie tonal ausdrücken. Diese folgenden acht Kirchentonarten bzw. Modi wurden nach griechischen Volksstämmen benannt:

  1. Tonart (Protus authenticus) – Modus: Dorisch → Stimmung: würdevoll, ernst, beweglich
  2. Tonart (Protus plagalis) – Modus: Hypodorisch → Stimmung: ernst, rau, düster, anmutig, feierlich
  3. Tonart (Deuterus authenticus) – Modus: Phrygisch → Stimmung: feurig, stürmisch, wohlklingend, klar
  4. Tonart (Deuterus plagalis) – Modus: Hypophrygisch → Stimmung: einschmeichelnd, inniges Flehen, jubelnd
  5. Tonart (Tritus authenticus) – Modus: Lydisch → Stimmung: frisch, belebend, anmutig, heiter, Trost spendend
  6. Tonart (Tritus plagalis) – Modus: Hypolydisch → Stimmung: verinnerlichend, kindlich, zur Einfachheit strebend
  7. Tonart (Tetrardus authenticus) – Modus: Mixolydisch → Stimmung: hochstrebend und frohgemut
  8. Tonart (Tetrardus plagalis) – Modus: Hypomixolydisch → Stimmung: Ausdruck von heiterer Ruhe des Gemüts

8 klassische Kirchentonarten (Modi) - Oktoechos
8 klassische Kirchentonarten (Modi) – Oktoechos

Das Charakteristische der acht Kirchentöne hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Gemüt kommt in folgendem alten Spruch zum Ausdruck:

Omnibus est primus – Der erste eignet sich für Alle,
sed est alter tristibus aptus – der zweite aber nur für Traurige.
tertius iratus – Der dritte soll zornig,
quartus dicitur fieri blandus – der vierte schmeichelnd sein.
quintum da laetis – Den fünften reiche den Fröhlichen,
sextum pietate probatis – den sechsten den Frommen.
septimus est iuvenum – Der siebente ist ein Eigentum der Jugend,
sed postremus sapientium – der letzte der Weisen.


Unterschied zwischen authentischen und plagalen Tonarten

Bei den Tonarten wird zwischen authentischen sowie plagalen Tonarten (toni, modi) unterschieden. Vier authentischen Tonarten mit dem Schlusston (finalis) als Ausgangspunkt sind vier plagale Tonarten mit dem Schlusston als Zentrum zugeordnet, sodass jeweils zwei Tonarten, also eine authentische und eine plagale an einen Schlusston (1. und 2. Tonart an re, 3. und 4. an mi, 5. und 6. an fa sowie 7. und 8. an sol.) gebunden sind.

  • 1. authentische Tonarten: Der herrschende Ton (Rezitationston, Dominante, Hauptton, Repercussa) liegt bei den authentischen (originalen) Tonarten immer eine Quinte über dem Schlusston (Finale bzw. Grundton), außer bei der 3. Tonart (hier wurde er nach do verschoben). Zu den authentischen Tonarten gehören die 1., 3., 5. und 7. Tonart. Hinsichtlich der melodischen Bewegung streben die authentischen Tonarten mehr der Höhe zu.
  • 2. plagale Tonarten: Bei den plagalen (abgeleiteten) Tonarten liegt der herrschende Ton (Dominante) immer eine Terz über dem Schlusston (Finale bzw. Grundton), außer bei der 4. (hier wurde er nach la verschoben) und 8. Tonart (hier wurde er nach do verschoben). Tonumfang und Rezitationston liegen bei den plagalen Modi somit um eine Terz tiefer als bei den authentischen. Zu den plagalen Tonarten zählen die 2., 4., 6. und 8. Tonart. Hinsichtlich der melodischen Bewegung streben die plagalen Tonarten mehr in die Tiefe. Bei den griechischen Bezeichnungen sind die plagalen Tonarten am Präfix „Hypo-“ (zu deutsch „unter-“) erkennbar.

Was ist die Psalmodie?

Die Psalmodie bezeichnet das Singen der Psalmen, Cantica und anderen sakralen Texten (zumeist aus der Bibel) auf Basis der Psalmtöne, denen die Kirchentonarten zugrunde liegen. Die Psalmmelodie setzt sich aus den folgenden Bestandteilen zusammen:

Psalmodie – Psalmtöne – Gregorianik
Aufbau der Psalmodie
  1. Anfang (Initium, Intonatio): Die Psalmen werden nur im 1. Vers mit dem Initium gesungen, ab Vers 2 wird dieser übersprungen. Beim Magnificat, Benedictus und Nunc dimittis wird hingegen jeder Vers mit dem Initium begonnen.
  2. Rezitationston (Hauptton, Tenor, Dominante)
  3. (bei langen Versen Zäsur durch eine Flexa (Beugung), wird im Text durch das Zeichen † oder / oder auch + gekennzeichnet)
  4. (Rezitationston)
  5. Mediatio (Mittelkadenz, auch Mediante oder Pausa): Kommt im Aufbau vor dem Zeichen Asteriskus (*)
  6. Rezitationston
  7. Finalis (Schlusswendung, Schlußkadenz, auch Terminatio oder Punctum): Dieser Teil kann variieren.

Erklärung der einzelnen Kirchentonarten

In den folgenden Videos erklären die Klarissen aus Paderborn auf YouTube die acht klassischen Kirchentonarten:

  • Erster Tonus – Erklärung anschauen:Video
  • Zweiter Tonus – Erklärung anschauen:Video
  • Dritter Tonus – Erklärung anschauen:Video
  • Vierter Tonus – Erklärung anschauen:Video
  • Fünfter Tonus – Erklärung anschauen:Video
  • Sechster Tonus – Erklärung anschauen:Video
  • Siebter Tonus – Erklärung anschauen:Video
  • Achter Tonus – Erklärung anschauenVideo

 

Quellen:

  • Johner, Dominicus: Neue Schule des Gregorianischen Choralgesanges; Regensburg ⁶1929, S. 22-30, 292-302.
  • Klöckner, Stefan: Handbuch Gregorianik. Einführung in Geschichte und Praxis des Gregorianischen Chorals; Regensburg ⁴2018, S. 70ff.
  • Scherrer, Anton: Abhandlung über Kirchenmusik im Allgemeinen und in ihren einzelnen Theilen ihrer Entstehung und Verbesserung bis auf unsere Zeiten; St. Pölten 1837, S. 82.